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Ausländische Investitionen, Technologie und ESG in den ASEAN-Ländern: Thailand und Vietnam im Fokus

Thailand und Vietnam sind zwei der bedeutendsten aufstrebenden Märkte der ASEAN-Region. Beide sind attraktive Standorte für internationale Unternehmen, die sich hier niederlassen und die reichlich vorhandenen Chancen nutzen wollen. Vor dem Hintergrund der im Moment recht instabilen Märkte müssen beide Länder jedoch nicht nur um Wettbewerbsfähigkeit ringen, sondern auch noch einige ihrer eigenen Herausforderungen meistern.
Franz Murr, Regional Head Asia Pacific, Ha Bach, Chief Representative in Vietnam, und Thira Nuntametha, Senior Representative in Thailand, werfen einen genaueren Blick auf aufkommende Trends in zwei der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Vereinigung südostasiatischer Länder (ASEAN).

Die jüngsten Entwicklungen in Vietnam und die Chancen für ausländische Investoren

Ha Bach, Chief Representative in Vietnam

Seit der Aufhebung des US-Embargos und der Öffnung Vietnams für ausländische Direktinvestitionen vor fast 30 Jahren ist das Land nach wie vor ein attraktiver Standort für multinationale Unternehmen, die von niedrigen Löhnen und günstigen Rahmenbedingungen profitieren wollen. In Vietnam hat sich inzwischen eine bedeutende Industrieproduktion entwickelt, die 70 Prozent der Exporte des Landes erwirtschaftet. Derzeit ist das Land das Hauptproduktionszentrum für globale Marken wie Samsung, LG und Intel. Angesichts der Spannungen mit China siedeln sich auch wichtige Zulieferer für große US-Unternehmen wie Apple in Vietnam an.

Sowohl geografisch als auch logistisch ist das Land einzigartig positioniert. Vietnam liegt an den Handelsrouten anderer bedeutender ASEAN-Staaten; es grenzt an China und ist mit seiner langen Küste ein natürlicher maritimer Umschlagspunkt. Dem Land steht eine schnell wachsende und junge Bevölkerung von fast 100 Millionen Menschen zur Verfügung, die ein gewaltiges Arbeitskräftepotenzial bilden. Vietnam ist eine der wenigen Nationen, die seit der Pandemie ein positives BIP-Wachstum verzeichnen. Auch politisch gilt Vietnam im Vergleich zu seinen Nachbarländern als recht stabil.

Zu den wichtigsten Sektoren für ausländische Direktinvestitionen in Vietnam gehören die produzierende und die verarbeitende Industrie, Immobilien, Elektronik, Pharmazeutika, die Automobilindustrie, schnelldrehende Konsumgüter und in zunehmendem Maße auch erneuerbare Energien. An der vietnamesischen Infrastruktur besteht zudem nach wie vor großes ausländisches Interesse, insbesondere aus der EU. Zu derartigen Projekten gehören z. B. die neuen U-Bahn-Linien und der Bau internationaler Flughäfen.

Der Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen wird in den Märkten der ASEAN-Region hart geführt. Die EU ist ein essenzieller Handelspartner für Vietnam. Sie ist der drittgrößte Partner für Exporte und der fünftgrößte für Importe. Vietnam hat im Lauf der Jahre intensive, langjährige Beziehungen zu verschiedenen Nationen innerhalb der EU aufgebaut. Zu diesen gehört auch Deutschland, der bei weitem größte Handelspartner des südostasiatischen Landes, der für ein Drittel aller EU-Exporte nach Vietnam verantwortlich zeichnet.

Thailand und seine neuen Handelsbeziehungen mit der EU

Thira Nuntametha, Senior Representative Commerzbank in Thailand

Ein weiterer aufstrebender ASEAN-Staat ist Thailand, der aus weitgehend den gleichen Gründen wie Vietnam ein beliebter Standort für ausländische Investitionen in der Region ist. Thailands internationale Handelspartnerschaften, insbesondere mit der EU, sind heute keine Einbahnstraßen mehr, sondern haben sich zu einem Wirtschaftsdialog entwickelt. Thailändische Unternehmen wollen inzwischen verstärkt in Projekte in der EU investieren. Als herausragende Beispiele seien Investitionen in Kaufhäuser in Italien und Offshore-Windparks in Deutschland genannt.

Deutschland ist auch für Thailand der größte Handelspartner in der EU. Bei der Beschaffung von Investitionen aus Ländern wie China, Korea, Japan und den USA hatte Thailand jedoch in der vergangenen Dekade gegenüber Vietnam stets das Nachsehen. Thailändische Arbeitskräfte sind zwar bestens ausgebildet, besonders in den Bereichen Elektronik und Automobilteile – Sektoren, die auch die Regierung nach Kräften unterstützt. Allerdings sind die Kosten deutlich gestiegen und die wachsende politische Instabilität in den vergangenen Jahren tat ihr Übriges, um ausländische Investoren vorsichtig werden zu lassen.

Ausbau der Infrastruktur und Umstellung auf eine fachkräfteorientierte Wirtschaft

Franz Murr, Regional Head of Asia-Pacific, Commerzbank Institutional Clients

Um sich von arbeitsintensiven Branchen zu verabschieden und seine Wirtschaft stärker auf hoch qualifizierte Fachkräfte zu stützen, konzentriert sich Thailand nun auf den Ausbau seiner Infrastruktur und die Einführung neuer Technologien. Durch den Bau einer Hochgeschwindigkeitseisenbahn will Thailand seine Häfen und Industriegebiete mit dem Rest des Landes verbinden, um so besser mit Vietnam und anderen ASEAN-Tigerstaaten wie Indonesien und Malaysia konkurrieren zu können.

Die vietnamesische Regierung hat derweil attraktive Steueranreize eingeführt, um mehr Unternehmen aus den ASEAN-Staaten zur Ansiedlung zu bewegen. Vietnam hat vor kurzem eine strategische Partnerschaft mit Südkorea begründet, die dem Land Investitionen in Milliardenhöhe bringen soll. Samsung z. B. hat bereits fast 18 Milliarden US-Dollar nach Vietnam gepumpt.

Japan ist ebenfalls ein langjähriger Handelspartner Vietnams in der Region. In den vergangenen zehn Jahren haben japanische Unternehmen im Rahmen der populären „China plus One“-Diversifizierungsstrategie Fabriken und Produktionskapazitäten nach Vietnam verlagert. Canon z. B. hat seine Fabrik in der Nähe von Hanoi inzwischen um das Dreifache ausgebaut. Japan stellt auch Finanzmittel für einige der großen Infrastrukturprojekte Vietnams bereit.

Weitere aufkommende Trends in Thailand und Vietnam

KMUs brauchen Unterstützung, um internationale ESG-Standards zu erfüllen

Die ESG-Anforderungen internationaler Unternehmen, die an diesem bedeutenden ASEAN-Produktionsstandort tätig sind, spielen eine wichtige Rolle bei der Einführung eigener Standards in der Region. Die vietnamesische Regierung verfolgt z. B. konsequent ihre eigenen Netto-Null-Ziele, aber das Land befindet sich noch in der Anfangsphase der Einführung eines ESG-Rahmens für ortsansässige Unternehmen. Die thailändische Börse verlangt inzwischen von allen notierten Unternehmen, neben ihren Jahresabschlüssen auch einen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen.

Die Herausforderung für Regierungen und Regulierer in der gesamten Region besteht deshalb darin, die Bedürfnisse von KMUs und unabhängigen Unternehmen zu berücksichtigen, die einen wichtigen Teil der Wirtschaft in der Region bilden. Im Gegensatz zu größeren Unternehmen, die über die nötigen Ressourcen verfügen, sind diese kleineren Unternehmen auf zusätzliche Unterstützung angewiesen, um die europäischen oder amerikanischen Standards zu erfüllen, wenn sie keine lukrativen Aufträge verlieren wollen.

Investitionen in erneuerbare Energien im In- und Ausland

Internationale Partnerschaften haben nicht nur Einfluss auf die Standards, sondern stärken auch die Investitionen in umweltfreundlichere Branchen wie z. B. erneuerbare Energien. In Ergänzung seiner eigenen ambitionierten Netto-Null-Ziele hat Vietnam wichtige Schritte zur Umgestaltung seines Energiemarktes unternommen. Das Land steht an der Spitze beim Übergang Südostasiens zu sauberer Energie und wird damit für europäische Investoren interessant.

Auch in Thailand ist der Übergang zu erneuerbaren Energien seit einigen Jahren ein viel diskutiertes Thema. Thailand baut nicht nur sein eigenes Energienetz um, sondern investiert auch große Summen in erneuerbare Energien auf der ganzen Welt. Thailändische Investoren haben sich an Projekten in Nachbarländern wie Laos, Myanmar und Vietnam, aber auch in weiter entfernten Ländern wie Japan, Australien und sogar Europa beteiligt.

Das Kapital und die Bereitschaft zur Unterstützung der Entwicklungsziele in der Region sind also vorhanden. Die Herausforderung sowohl für Vietnam als auch für Thailand besteht nun darin, die vorhandene Infrastruktur zu modernisieren. Das muss im Gleichklang mit den Fortschritten bei den erneuerbaren Energien geschehen und bedarf einer konzertierten Anstrengung von Regierungen, Energieunternehmen und ausländischen Investoren.

Banken investieren in Technologie und fördern die Kooperation mit Fintechs

Die Pandemie hat viele Banken in den ASEAN-Mitgliedsstaaten veranlasst, sich der Digitalisierung zuzuwenden. Thailand und Vietnam bilden da keine Ausnahme. Beide reduzieren infolgedessen zunehmend den Bargeldverkehr und investieren stark in Technologien, um bislang schwerfällige Transaktionen und Prozesse zu optimieren. Der Marktdurchdringungsgrad von Smartphones ist in der gesamten Region recht hoch sowie auch das Interesse am Angebot mobiler Bankdienstleistungen und -lösungen. Das stärkt die Zusammenarbeit zwischen Banken und Fintechs, insbesondere im Bereich des Zahlungsverkehrs und der Peer-to-Peer-Kredite.

Wie ein Verband thailändischer Top-Banken bekannt gab, sollen im Rahmen eines langfristigen strategischen Planes weitere 3 Milliarden US-Dollar in Innovationen fließen: Ein Schritt, der konventionelle Banken weitgehend in Technologieunternehmen verwandeln wird. Der vietnamesische Fintech-Sektor hat sich inzwischen zu einem attraktiven Markt für ausländische Investitionen entwickelt, dem im vergangenen Jahr fast 400 Millionen US-Dollar zuflossen. Nur der Fintech-Markt Singapurs ist noch größer.

Daten machen Banken zu Dienstleistern jenseits ihrer traditionellen Aufgaben

Ein auffallender Trend in der Region ist, dass Finanzinstitute zunehmend in Bereiche investieren, die traditionell nichts mit dem Bankwesen zu tun haben. Eine führende thailändische Bank betreibt z. B. seit 2020 eine Plattform für die Lieferung von Lebensmitteln, die sich zu einem aktiven Marktplatz für kleine, ortsansässige Unternehmen entwickelte. Der eigentliche Grund der Banken für diese Art von Investitionen sind Daten. Die Informationen, die sie aus der Analyse der Ausgabengewohnheiten der Verbraucher oder dem Cashflow eines Unternehmens gewinnen, können sie z. B. für die Vergabe maßgeschneiderter Kleinkredite an Restaurantbesitzer oder Lieferfahrer nutzen. Daten bieten den Banken Anreize, in Märkte einzutreten, die sonst viel zu riskant wären und nicht in ihr traditionelles Kreditgeschäft fallen. Dadurch wächst das Angebot an Finanzierungslösungen für Unternehmen in der ASEAN-Region. Auf diese Weise können die in der Region bestehenden Finanzierungslücken geschlossen werden, weshalb Zentralbanken, Regierungen und Unternehmen diesem neuen Betätigungsfeld höchste Priorität einräumen.

Ein großer Teil der Bevölkerung sowohl in Thailand als auch in Vietnam hat keinen Zugang zu Banken und verfügt nicht über das Wissen, um einen regulären Kredit aufzunehmen. Die datengestützte Mikrofinanzierung kann diesen Unternehmen und Verbrauchern eine ebenso praktikable wie sinnvolle Lösung anbieten. Sie ist ein Musterbeispiel dafür, wie Banken und Regierungen gemeinsam die neueste Technologie nutzen, um in zuvor nicht denkbarer Weise gesellschaftliche Probleme zu lösen und die Bedürfnisse von Unternehmen zu erfüllen. Innovationen wie diese könnten auch zur Bewältigung anderer Herausforderungen der ASEAN-Staaten eingesetzt werden, so z. B. zur Modernisierung der Infrastruktur und zur Erreichung der ESG-Ziele.

Stand: Februar 2023